Wenn man vom Cunnersdorfer Bahnübergang auf der
Müglitztalstraße in Richtung Oberschlottwitz bis zur nächsten
Müglitzbrücke lief und von dort zurückblickte, bot sich
folgendes Bild:
Das Hamburger Abendblatt schrieb am
21.08.2002 zur Situation in Schlottwitz:
Das vergessene Dorf
Ein Besuch in Schlottwitz bei Dresden.
Hier kämpften die Bewohner lange allein gegen die Flut.
Von Geneviève Wood
Schlottwitz - Die
Hauptstraße - ein reißender Fluss. Die Bahnschienen -
weggebrochen. Überall wühlen sich Bagger durch meterhohen
Schutt. Vor einer Woche ist das Flüsschen Müglitz über den
Ort gerast. Sie kam blitzschnell angeschossen, hat ihr Flussbett
verlassen, sich mit dem Bach Trebnitz vereinigt - auch ein Name,
den schon im gut 30 Kilometer entfernten Dresden kaum einer
kennt. Gemeinsam haben sie den 1300 Einwohner großen Ort
kaputtgewalzt. Der Fluss hat Baumstämme in Wohnungen getrieben,
Hauswände eingerissen und Laternenpfähle umgeknickt. Alles in
wenigen Minuten.
Aber wer kennt schon
Schlottwitz?! Das idyllische Dorf zwischen den Hügeln der Sächsischen
Schweiz. Ja, Dresden oder auch Glashütte, das sind Orte, die
jeder kennt. Aber Schlottwitz? Keine Uhrenmanufakturen, keine
Semperoper. Hier gibt es nur eine "tausenjährige
Eibe". Ein vergessener Ort. In den ersten Tagen der
Katastrophe waren die Schlottwitzer auf sich selbst angewiesen.
Dann kam die Bundeswehr, später das THW.
"Der Bundeswehr haben wir
viel zu verdanken. Die Soldaten haben unser Haus gerettet",
sagt Markus Göhlert (28). Die Männer haben das Fundament neu
gegossen - damit das Einfamilienhaus in der Müglitztalstraße
nicht zusammenbricht. Die Müglitz hatte die linke Hauswand
abgerissen, das Carport, den Swimmingpool und die Garage
verschlungen. "Das Einzige, was wir retten konnten, waren
die Autos", berichtet Vater Eberhard (53). Zwei Tage lang
konnten sie nicht ins Haus. "Da drin war ein reißender
Fluss", so Markus Göhlert.
Mit einem Seil hatte er sich
zum Haus gehangelt, um wenigstens ein paar Fotoalben, Papiere,
Versicherungspolicen und die Geldkassette von der Oma
mitzunehmen. Die Oma: Ilse Hausschild ist in der ehemaligen
Schmiede aufgewachsen. "Mit sieben habe ich schon einmal
eine Flut miterlebt, aber die war nicht so schlimm", sagt
die 82-Jährige.
In Schlottwitz gibt es nur ein
Jetzt. Jetzt - das heißt aufräumen. Genau wie an so vielen
anderen kleinen Orten rund um Dresden: in Radebeul zum Beispiel,
der Karl-May-Stadt. Auch dort: überall weggebrochene Bürgersteige.
Bewohner räumen Schränke, Kinderspielzeug auf die Straße. An
einem Fachwerkhaus fehlt die halbe Grundmauer.
Beispiel Kipsdorf. Die
Bundesstraße 172 ist weg, die Gleise der Kleinbahn unterspült.
Der Ort ist nur über Waldwege erreichbar.
Beispiel Schmiedeberg. Das
Dorf ist von der Umwelt abgeschnitten, weil die Straßen dem
neuen Flussbett weichen mussten - der wilden Weißeritz.
Beispiel Freital. Auch hier
hat die Weißeritz überall Trümmerberge hinterlassen. Ganze Häuser
wurden weggespült.
Und eben Schlottwitz. Gerade
bricht wieder ein Stück Straße ab. Noch immer gibt es keinen
Strom, kein Trinkwasser aus der Leitung. Schlottwitz - ein
vergessenes zerstörtes Dorf unter einem absurd blauen
Sommerhimmel.
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