Erreichte man von Cunnersdorf kommend am Abend des 16.August
(gegen 19 Uhr) den Bahnübergang, so bot
sich unmittelbar ein Bild der Verwüstung:
So erlebten es auch Helfer aus
Hückelhoven (THW-Nordrheinwestfalen):
In Dresden (Bereitstellungsraum 2) angekommen,
wurden wir erst mal in Ruhestellung gestellt, da wir zum Teil
seit über 30 Stunden nicht richtig geschlafen hatten. Wir
hatten uns gerade in einem Zelt auf modrig riechendem Untergrund
(jede Menge Müll hatten wir beseitigt) nieder gelassen, bekamen
wir die Nachricht, dass wir nach Dippoldiswalde (Dipps) verlegt
würden: "Ihr sollt gar nicht hier in Dresden sein, ihr müsst
nach Dippoldiswalde". Das erschien uns nicht so tragisch,
da Dipps auf der Karte nur ca. 20Km von Dresden entfernt ist -
da sind wir schnell.
Die Anfahrt hatte es in sich. Berge über Berge
und der GKW mit Tieflader im Schneckentempo voran. Mehr als 20
Km/h waren nicht drin, die Kupplung stank. Dirk (Kraftfahrer):
"Wenn ich zuhause bin, mache ich erst mal eine
Verlustmeldung über 200 PS für unseren GKW". Nach über
einer Stunde erreichten wir Dipps. "Ihr müsst direkt
weiter nach Schlottwitz bei Glashütte, der Kollege vom OV Überlingen
wird euch lotsen".
Wir erfuhren, dass es dort kein Trinkwasser (außer von einer
TWA) gab, Strom sollte auch nicht flächendeckend vorhanden
sein, die Gasleitungen sind zerstört. "Die Leute werden
auch nicht gut auf euch zu sprechen sein, da waren vor euch
schon welche da...."
Es war dunkel, als wir nach beschwerlicher Anfahrt, viele Straßen
waren zerstört, in Schlottwitz ankamen.
(Anm. Im Weißritzkreis waren durch Hochwasser am 13.08.2002 ca.
70% der Straßen und 20% der Gebäude angeschlagen, bzw. zerstört.
70 Brücken waren unpassierbar oder zerstört. Der Stadtkern von
Glashütte glich einem Trümmerfeld nach einem Bombenangriff.).
Der Bahnübergang, den wir in Schlottwitz passierten, war total
zerstört. Die Schranken ragten in bizarren Formen in die Luft.
Kein Licht, niemand zu sehen - alles gespenstig und unwirklich.
Wir bezogen in einer alten Schule Quartier. Es herrschte gedrückte
Stimmung, Müdigkeit.
Der nächste Morgen - Schock für die Helfer -
Gespräche!
So etwas hatten wir noch nicht gesehen. Unzählige entwurzelte Bäume,
zerquetschte Autos, zerstörte und angeschlagene Häuser, zerstörte
Brücken, mit Schlamm zugelaufene Geschäfte und Wohnungen,
verzweifelte Bürger.
Wo fangen wir an???
Wir hatten unser Dorf!
Unser Zugtrupp bildete eine örtliche
Einsatzleitung und es wurde begonnen, das Umfeld der Schule zu
beräumen.
Knochenarbeit, und es kam uns vor wie "ein
Tropfen auf den heißen Stein".
Hier muss massiver geholfen werden - Mehr THW,
mehr schweres Gerät. Wir forderten an, was an schwerem Gerät
zur Verfügung stand. Die Zusammenarbeit mit der FüKom Dipps
entwickelte sich vorbildlich - kleine Unzulänglichkeiten gibt
es in solchen Lagen immer. Um die Erkundung leichter durchführen
zu können und um die einzelnen Arbeitsstellen, welche bis zu 4km
voneinander entfernt waren, zu erreichen, lieh ich mir von einem
Anwohner ein "Melderfahrrad". Früher hatten wir über
dieses in der THW STAN vorgesehene Fahrrad immer gelächelt -
vorbei mit lustig. Das Fahrrad war "Gold" wert, da ich
mich bei dem über die Tage immer stärkerem Verkehrsaufkommen
in diesem "ein Straßendorf" durch die LKW Schlangen
hindurch winden konnte.
Durch die geographischen Gegebenheiten starb der
2m Funk schon nach rund 300m. Mobiles 4m Gerät hatten wir
nicht. Die Verbindung nach außen erfolgte ausschließlich über
Mobiltelefon. Über die Tage verteilt rückten immer mehr
Gruppen mit Bergungsräumgerät (BRG) und Kipper an. Die
Arbeiten wurden von unserem Zugtrupp welcher an der Hauptstraße
(im Ducato) installiert war koordiniert. Täglich wurden
zwischen 80 und 100 THW Helfer, 6 BRG, und zwischen 4 und 10
Kipper (auch zivile) koordiniert. Die zivilen Helfer, welche
auch von weit her kamen um zu helfen, wurden von einer zivilen
Einsatzleitung koordiniert.
Durch regelmäßige Besprechungen und
Funkkontakt wurden die Arbeiten in den beiden EL abgeglichen.
Auch hier versuchten wir zu helfen, wo es ging. Über die Tage
besetzten wir mehrere Kipper, welche von IVECO leihweise ohne
Personal zur Verfügung gestellt wurden mit Fahrern. Auch ein
Caterpillar Radlader und eine Straßenwalze wurden von unseren
Fahrern betrieben.
Wo bekomme ich eine scharfe Sägekette her? Eine
der ersten Fragen aus der arbeitenden Helferschaft. Log Mat war
nicht vor Ort, ein Schärfgerät nicht vorhanden. Dipps konnte
einen Schärfservice "über Nacht" organisieren - das
dauerte aber alles zu lange, der Bedarf war zu groß.
Ratlosigkeit. "Gebt mir die Ketten, ich mache das!"
Ein Anwohner aus der Nachbarschaft unserer Führungsstelle hatte
das Problem aufgefangen und bot sich an, jederzeit unsere Ketten
zu schärfen. Seitdem war das "Haus mit den Blauen
Dachschindeln" Anlaufpunkt, wenn Ketten geschärft werden
mussten. Die Rücklieferung der geschärften Sägeketten
erfolgte prompt.
Ein deutlicher Einsatzschwerpunkt lag im Bereich
der Kartonagenfirma Graf, Unterschlottwitz. Die Zufahrtbrücke
zur Firma war durch eine enorme Holzanstauung weggedrückt
worden und staute die Müglitz an. Ein weiterer Anstieg der Müglitz
durch erneuten Regen würde zu einer weiteren Katastrophe führen
wenn hier nicht eingeschritten wird - die ersten
Unwetterwarnungen erreichten uns schon an diesem Nachmittag.
Die Anfahrt zur Fa. Graf war mit größeren Fahrzeugen nicht möglich,
da die 1km lange Zufahrtstraße an mehreren Stellen weg
gebrochen und unterspült war - Straßenbau war angesagt. Unsere
Räumgruppe meißelte die Abbruchkanten mit dem Drucklufthammer
gerade ab, dann Füllmaterial organisieren (ca. 30
Kipperladungen), Löcher verfüllen, Walzen. Unterstützung
erhielten wir von einem Bauunternehmer. Der Straßenabschnitt
war wieder befahrbar. Jetzt konnte geholfen werden. Der einzige
Zugang (13m lang und 3m hoch über die Müglitz) zu den Gebäuden
der Firma Graf bestand aus 2 parallel gelegten Pappelstämmen,
auf welche Europaletten genagelt wurden, Pionierarbeit. Für den
Anfang gut, aber auf Dauer zu gefährlich.
Wir forderten das Einsatzgerüstsystem (EGS) für einen Steg an.
Die Kollegen aus dem OV Berchtesgadener Land erreichten uns mit
ihrem EGS am nächsten Abend. Das beräumen der Holzansammlung
dauerte 2 Tage.
Durch die Errichtung des 13m freitragenden Steges konnte die
Belegschaft der Fa. Graf endlich sicher zu ihren Arbeitsplätzen
gelangen - Erleichterung in ihren Gesichtern.
Dennoch fehlte es bis zu unserem Einsatzende an einer größeren
Brücke, die auch von Autos befahren werden kann.
Könnt Ihr sprengen? Sprengen? Im Einsatz? So
etwas hatten wir nie für Möglich gehalten. Ein Wehr aus Beton
hatte sich einseitig vom Ufer gelöst und stand nun schräg im
Bachlauf. Da kein Zugang für schweres Gerät möglich war, kam
nur eine Sprengung in Frage. Klar können wir sprengen - aber
nur mit Genehmigung der THW Leitung. Die Mühlen der Verwaltung
beginnen zu mahlen, zumal die Auflösung des Katastrophenalarms
kurz bevor stand - das ändert die Voraussetzungen. Der
Landestalsperrenverband drängte. Es wurden die Berechnungen
durchgeführt und zwei Tage gebohrt. (Nach unserer Abreise wurde
das Wehr dann von einem Unternehmer gesprengt, die Verwaltungs-
(Entscheidungs-) wege im THW dauerten leider zu lange).
Eine Behelfsbrücke aus Stahl stand zu tief über
dem Wasserspiegel der Müglitz. "Mindestens 2m anheben,
sonst haben wir beim nächsten Regen die nächste
Katastrophe", so ein Mitarbeiter des
Landestalsperrenverbandes. 80 Tonnen Eigengewicht. Nicht
einfach, aber realisierbar.
"Wir brauchen 240 lfm. Kantholz 12x12cm für die Erstellung
von Auflagererhöhungen. Frag mal in Dipps nach, für wann die
das besorgen können". (Später erledigte sich diese
Aufgabe, da die in der Nähe an einer Straße arbeitende Fa.
STRABAG die Brücke 4 Tage später demontieren wollte).
Der Hauptstrang unserer Arbeiten lag jedoch nach
wie vor und über die ganze Zeit hinweg in der Beräumung des
Flussbettes und in der Bereinigung der Hauptstraße.
Zahllose LKW Ladungen mit Astwerk, Wurzeln, Mobiliar und Schutt
wurden auf die Deponie in Cunnersdorf verbracht. Unermüdlich
arbeiteten sich die MAN mit Ladekran durch das Flussbett der Müglitz
um mit ihren Greifern Wurzelwerk, Bäume und Autos an das Ufer
zu verbringen. Auch hier zahlreiche BRG mit Polygreifer, LKW und
Helfer, welche die Uferbereiche bereinigten. Die Seilwinden der
GKW und die Motorsägen liefen unaufhörlich.
Schlottwitz wurde langsam übersichtlicher.
Kaum zu ertragen - der Staub. Wasserwerfer des
BGS patrouillierten unermüdlich durch Schlottwitz und lieferten
Trinkwasser an die Haushalte (Das Trinkwasser tankten sie aus
den Behältern der THW Wasseraufbereitungsanlage). Andere bestäubten
die Straßen mit Wasser um den Staub zu binden.
Können Sie uns mal helfen?
Eine Frau aus dem Heer der freiwilligen Privathelfer bat uns um
Hilfe. Eine Gruppe von Frauen und Männern hatte einen zugespülten
Regenwasserablauf von ca. 80cm Durchmesser und 30m Länge buchstäblich
mit den Händen frei gegraben. Der Aushub war in einer ca. 4m
tiefen Grube, an welche der Kanal anschloss, aufgehäuft.
"Könnt Ihr das da jetzt rausholen? Wenn es heute Nacht
regnet, war die ganze Schufterei umsonst." Ratlose Blicke
unsererseits: 4m tief, 5 Kubikmeter Erdaushub, es ist 19.30 Uhr,
wir sind müde.
Wir versuchen es mit dem Ladekran und
Zweischalengreifer des MAN. Die Tiefe reicht, glück gehabt. Es
spritzt Öl?! Die Hydraulikschläuche für die Greifschalen
waren zu kurz und sind beim ersten schließen der Schalen
gerissen - wie kann das, und warum gerade jetzt? Wie machen wir
weiter? Machen wir überhaupt heute noch weiter? Wir können die
Leute hier doch nicht so hängen lassen. Wir bugsierten den MAN
aus den engen Gassen heraus und fingen an, den Polygreifer eines
BRG gegen einen Zweischalengreifer auszutauschen. Alle
Steckverbindungen und bolzen lösen, Polygreifer abstellen,
Zweischalengreifer anbolzen, Hydraulikleitungen zusammenkuppeln
- passt nicht, ist ein Anbaugerät aus einem anderen OV. Haben
wir im mittlerweile halbdunklen nicht bemerkt. Kommando zurück,
dann müssen wir es eben mit dem Polygreifer versuchen. Es
klappt leidlich, aber es klappt. Zu guter letzt müssen noch ca.
2m³ Aushub mit der Schippe in die Schale des Polygreifers
geschaufelt werden, aber unsere Ehre wäre damit wohl gerettet.
Blocki, du hast Besuch!
Ja, ich hatte Besuch. Meine Frau stand vor mir. Sie war den
700Km langen weg von Hückelhoven nach Schlottwitz angereist um
unseren Helfern zu helfen. Mit sauberer Bekleidung und lieben Grüßen
von den Familien der Helfer. Die Freude war groß. Die meisten
Helfer wussten über den Besuch schon vorher. Sie hielten dicht
und ich war, wie konnte es auch anders sein, der letzte, der es
erfuhr.
Die BG2 ist wieder da!
Die BG2, welche zwecks Pumparbeiten an der A9 verblieben war,
wurde einige Tage später zu uns nach Schlottwitz überstellt.
Wir hatten uns darum bemüht, da auf ihrem GKW 2
Spezialwerkzeuge und Maschinen verlastet sind, welche dringend
bei uns benötigt wurden. Für Schlottwitz zahlte sich diese
Aktion aus, da wir weitere Hilfe anbieten konnten.
An dieser Stelle unseren Dank an alle
beteiligten Helfer aus den verschiedenen Ortsverbände und den
Feuerwehren die sich unserer Abschnittsführung angeschlossen
haben. Ohne diese ausnahmslos gute Zusammenarbeit hätten wir in
Schlottwitz nie so viel bewegen können.
Zitat eines Einheimischen bei unserer Abreise:
Ihr habt hier nicht nur die Hinterlassenschaften des Hochwassers
bewegt, sondern auch die Gemüter der Menschen in Schlottwitz.
Es ist euer Verdienst (Anm.: damit war die Helferschaft
insgesamt gemeint), dass wir wieder Mut und Kraft haben unser
Schicksal alleine in unsere Hände zu nehmen und mit Perspektive
in die Zukunft zu schauen.
Frank Blockhaus
THW OV Hückelhoven
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