Vorheriges Bild Hochwasser 2002 in Glashütte (Sachsen) Nächstes Bild

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"Original" (ca. 400 kB = 1809x1359 Pixel) An der umgestürzten Litfaßsäule wird zerstörtes Inventar aus überfluteten Räumen abgelagert:
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Zu den Zuständen in Glashütte schreibt Berline-Online am 19.08.2002:

Die Zeit danach:
Die Flut hat Glashütte verlassen. Man könnte denken, das Schlimmste sei nun vorbei. Aber erst jetzt begreifen die Menschen, was eigentlich passiert ist

Man könnte sagen, die Glashütter haben es hinter sich, wenn sie nicht noch alles außer der Flut vor sich hätten. Die Leute stehen am Ende von etwas, aber am Anfang von etwas Anderem. Es ist vorbei, und doch noch lange nicht. Die Zeit für einen inneren Frieden war zu kurz.

Am Ortsrand, in der Unterstadt, auf der Straße von Schlottwitz herein steht ein Mann in einer großen Pfütze. Mit Gummistiefeln steht er in dem kleinen See und hat eine Bierflasche in der Hand. Als man vorbeifahren will, stellt er sich in den Weg. Er hatte sich das Nummernschild angesehen. "Wo wollen Sie hin?", fragt er. "Was haben Sie mit diesem Kennzeichen hier zu suchen? Gaffer haben wir schon genug. Passen Sie auf, dass die Leute Sie nicht lynchen."

Um ihn herum liegen Schlammberge, entwurzelte Bäume, Geröll, Müll. Autoservice Kühnel existiert gewissermaßen nicht mehr. Die Autos sind weg, nur eins steht noch in den Resten einer Garage, es ist ein kleines blaues. Ein paar Meter hinter dem ersten Mann steht ein zweiter, Gummistiefel an den Beinen, blaue Latzhosen, Schlamm im Gesicht. "Hier geht s nicht weiter", sagt er. Hinter ihm liegt die ehemalige Asphaltstraße von der Flut auseinander gerissen. "Zurück, unter der Brücke durch und Auto dort abstellen. Weiter nur zu Fuß, wenn überhaupt." Auch er hat das fremde Nummernschild gesehen.

Also zurück, unter der Brücke durch, den Hang einer Nebenstraße hoch und das Auto über der Müglitz und dem ehemaligen Bahnhof gegenüber abgestellt. Roland Seffner kommt vorbei, Gummistiefel an den Füßen, kurze Hosen, kariertes Hemd. Er ist auf dem Weg nach unten und will sehen, wo man noch eine Schaufel und ein paar Hände braucht. Er zeigt auf das Flüsschen, das noch ein bisschen rauscht. "Hier kamen Baumstämme vorbei", sagt er, "Fünfzehn oder zwanzig Meter lang, drei Meter Durchmesser." Seffner ist 72 Jahre alt, ein drahtiger Mann. Er macht noch Achtzig-Kilometer-Touren auf seinem Rennrad. Aber das hier ist zu viel für ihn. Er fängt an zu weinen. "Zehn Jahre haben wir aufgebaut, wir waren fast fertig, und jetzt ist alles wieder kaputt. Gehen Sie rüber, die Hauptstraße hoch, Sie werden es sehen. Wir hatten hier 1948 Hochwasser, 1964 und 1966, aber das alles war Sonnenschein gegen die Flut vom Montag."

Glashütte hat 2 200 Einwohner. Die Straßen waren gemacht, der kleine Marktplatz war gepflastert, die Häuser hatten farbigen Putz. Im Erdgeschoss haben sie ihn jetzt nicht mehr. Am Anfang der Hauptstraße stehen noch ein paar zerstörte, schlammverkrustete Autos. Auf der rechten Seite gibt es viele Meter lang keinen Bürgersteig mehr, nicht vor dem Fliesengeschäft Salomon, nicht bei Blumen-Seidel oder Pfennig-Pfeifer. Da ist nur ein Graben, und viele kommen nur über Bohlen in ihre Häuser. Das Haus Nummer zehn ist eine dunkle Höhle, was drin war, ist auf dem Müll, was herauszuholen ist, ist nur noch Schlamm.

Vor dem Uhrengeschäft stehen die Reste einer gelben Couchgarnitur, vor dem Fleischer unbrauchbare Kühltruhen. Kaum jemand in Glashütte trägt normale Kleidung. Die Leute haben Drillichzeug an, dicke Arbeitsschuhe oder Gummistiefel, Handschuhe, sie tragen Schaufeln, Besen, Eimer, Lappen, Schläuche, Motorsägen. Ein Geschäftsmann hat reagiert. Er hat einen Aufsteller vor seinem Haushaltwarenladen platziert und zeigt an, dass es "Arbeitshandschuhe, Schrubber, Schüsseln, Eimer, Scheuertücher, Kerzen" zu kaufen gibt.

An einem Haus hängt noch die "Bekanntmachung zur erfolgten Gewässerschau der Müglitz am 12.6.02" durch das Landratsamt Weißeritzkreis. Ordnungsgemäß sei der Zustand der Gewässer, der Überschwemmungsgebiete und der Gewässerrandstreifen kontrolliert worden. Es hätte sich lediglich die Gefahr von Rutschungen an ein paar Privatgrundstücken feststellen lassen. Genau zwei Monate später, am Montag zwischen zwei und drei Uhr nachmittags, schoss die Müglitz durch Glashütte, die Prießnitz und die Flut aus einem gebrochenen Rückhaltebecken. Das Wasser aus dem Rückhaltebecken kam den Hang der Hauptstraße herunter. Große Baucontainer schossen wie Raketen durch die Stadt. Am Möbelgeschäft drang das Wasser durch das Hoftor ein und drückte die Möbel durch die Fenster.

Es hängt jetzt noch eine einzelne weiße, schlammverkrustete Gardine über meterdickem Dreck. Ein Plakat ist übrig geblieben und spricht von zehn Prozent Rabatt. Aber das ist vorbei. Das Wasser hat sein Schlusswort gesprochen. Es hat gesagt, alles muss raus. An einer Ecke stand der Laden von Birgit Franke im Weg. Sie hatte Lebensmittel verkauft, Zeitungen, Getränke, Blumen. Die älteren Glashütter kamen her, die ohne ein eigenes Auto abgeschnitten waren von den großen Einkaufsmärkten auf der grünen Wiese. Von ihnen hat sie gelebt. Jetzt ist der Laden verwüstet, ist nur noch ein dunkles Loch.

Birgit Franke und ihre Schwiegereltern holen die Reste heraus. Wozu sie verwendet werden können, ist ihnen wohl selbst nicht klar. Gerhard Franke packt Apfel-Nektar in seinen Lada, Bohnenbüchsen, einen Stapel "Für Sie", einzelne Bierflaschen. Sie müssen jedes einzelne Teil in die Hand nehmen, abwischen, unter den Schlauch halten, trocken reiben. Birgit Franke kratzt innen Schlamm von den Wänden, und wenn das erledigt ist, ist für sie Schluss. Das sagt ihr Schwiegervater. "Sie hat schon Kredite drauf, und jetzt wieder neue, das schafft sie nicht. Sie ist, wie sagt man heute, ruiniert. Ihr Haus in Reinholdshain steht auch im Wasser."

Der Bürgermeister von Glashütte heißt Frank Reichel. Sein Bild in der Stadtbroschüre zeigt einen freundlichen, grau melierten Mann, offene Gesichtszüge, ungefähr Mitte fünfzig. Man würde ihn gern sprechen, aber das geht jetzt nicht. Reichel ist im Krisenstab, beim Landrat, in den Ortsteilen, bei der Feuerwehr. Seine Mitarbeiter sind nicht unfreundlich. "Bitte gehen Sie", sagen sie. Fast ist es wie ein Flehen. "Schauen Sie sich an, wie es da draußen aussieht. Es ist jetzt einfach nicht die Zeit für Interviews."

Draußen am Rathaus und auch am Feuerwehrgebäude hängen die neuesten Informationen: "Bis auf weiteres kein Unterricht. Ab Klasse sieben: 8 Uhr Treff im Schulhof mit Schaufel, Besen, Eimer u.a., um die Aufräumarbeiten zu unterstützen."

"Achtung, es wird darauf hingewiesen, dass bis auf weiteres Wasser nur in abgekochtem Zustand zu verwenden ist."

"Brotverkauf - Bushaltestelle; am Sportplatz."

Unten an der Hauptstraße, dem Bahnhof gegenüber, liegt das Stammhaus der "Lange Uhren GmbH". Hier ist im 19. Jahrhundert die Glashütter Uhrenindustrie entstanden. Aber die Uhrmacher sitzen noch nicht wieder an ihren Präzisionswerkzeugen, sie laufen in Gummistiefeln und Arbeitskleidung, schaffen zerstörte Büromöbel und Computer heraus und werfen sie am Straßenrand auf große Haufen aus nasser Pappe. Seit die Flut am Montag kam, war Geschäftsführer Hartmut Knothe nicht zu Hause. Langsam verschafft er sich einen Überblick über den Schaden. "Bei uns sind neue und historische Uhren in den Tresoren zerstört worden, Vakuum- und Klimaanlagen, die Heizung. Ein neuer, riesiger Parkplatz ist weg. Ich rechne mit einem Verlust von sechs bis neun Millionen Euro."

Wahrscheinlich kann "Lange Uhren" die Schäden besser wegstecken als die kleine Stadt. "Lange Uhren" gehört zu einem großen Schweizer Konzern. "Glashütte war dabei, sein Gesicht zu finden", sagt Knothe, "die Stadt hatte Kolorit, die Straßen waren massiv ausgebaut, der Marktplatz liebevoll restauriert, Wohnhäuser, Parks und kommunale Gebäude hergerichtet. Aber irgendwann werden wir die Stadt wieder in Gang bringen, irgendwann. Wahrscheinlich muss jetzt das Doppelte bis Dreifache der Mittel eingesetzt werden, die nach der Wende geflossen sind. Aber die Leute müssen erst wieder Mut fassen, sie sind betroffen, genervt, manche auch psychisch kaputt. Viele kleine Geschäftsleute sind ruiniert."

Regina Salomon war schon beim Arzt, sie hat auch schon in der Kirche gebetet. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie im Erdgeschoss ihres Hauses ein Fliesenstudio, sie haben dort auch Kunstgewerbe und Lederwaren verkauft. Wie es jetzt weitergeht, wissen sie nicht. Es wird wohl nicht weitergehen. Frau Salomon steht im Gespräch immer halb abgewandt, so, als müsste sie gleich gehen. Das muss sie auch, das Erdgeschoss muss sauber gemacht werden, wenigstens das. Sie spricht über die Hilfe, die sie bekommen hat, von Nachbarn, von der Firma "Uhren Lange", die ein paar Leute zum Aufräumen schräg über die Straße schickte. "Das Schlimme ist nur, dass ich mein Geschäft verloren habe", sagt sie.

Vor zehn Jahren haben die Salomons das Haus gekauft, Kredite aufgenommen und mühsam Haus und Geschäft aufgebaut. Der Laden und die Waren darin sind jetzt zerstört. "Und noch einmal bei der Bank Geld borgen, das kann ich nicht", sagt sie. "Ein zinsgünstiger Kredit nützt mir gar nichts, ich bin 53." Weitergehen muss es, so viel steht für Frau Salomon fest. Wie es weitergeht, das weiß sie jetzt nicht. Es ist noch so viel aufzuräumen. Die zerschlagene Existenz ist auf den Müll zu werfen. Da denkt sie noch nicht an Hilfe von außen. Geld vom Land, vom Bund? "Bei uns ist das doch erst am Montag passiert, und jetzt schwimmt das ganze Land. Wer soll da zuerst kriegen? Und schauen Sie sich Dresden an."

Wenn in Dresden das Wasser weg ist, wird es Bilder wie in Glashütte geben. Vielleicht auch schlimmere, obwohl es hier wirklich reicht. Auf dem Weg durch die Stadt sieht man immer wieder das Haus in der Hauptstraße 31. Das Wasser hat im Erdgeschoss die Außenwand weggerissen, und man kann durch wehende Gardinen in ein Zimmer sehen. Da steht ein breites, altmodisches Bett mit Tagesdecke und aufgeschüttelten Kissen. An der Wand hängt ein Marienbild. Die Bewohner, ein altes Ehepaar, wurden in der vergangenen Woche nach Dresden gebracht. Wo sie jetzt sind, weiß niemand.

"Die Leute müssen erst wieder Mut fassen, sie sind betroffen, genervt, manche auch psychisch kaputt. " Hartmut Knothe, Geschäftsmann.

von Wolfgang Kohrt

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