Die Asphaltdecke auf der Hauptstraße vor der E.-Lange-Straße
zeigte starke Verwerfungen:
SZ-Online berichtete am 14.08.2002
"Immerhin,
wir leben noch"
Der Erzgebirgsort Glashütte nach der
Überschwemmung durch eine Deichbruch
Ein durchdringendes Geräusch von Metall, das über
Steine kratzt, erfüllt das enge Müglitztal in Glashütte im
Erzgebirge. Überall im 5000-Seelen-Städtchen schaufeln
Menschen in Zivil, Arbeitssachen oder Uniform Schlamm aus ihren
Häusern oder von der Hauptstraße. Schaufellader schieben Geröllmassen
zusammen. Bis zu einem halben Meter hoch türmen sich Dreck, Bäume,
zerbeulte Autos und riesige Stahlrohre. Am Montag war ein Damm
bei Altenberg, oberhalb des für seine Uhren berühmten Ortes,
gebrochen und hat eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.
Seit Mittwoch Morgen ist das Wasser weg und sofort wird
fieberhaft gearbeitet.
Zu erreichen ist der Ort bisher nur über einen
aufgeweichten Waldweg. Roland Schwertner, Inhaber der
Monos-Uhrenfabrik, lenkt seinen Geländewagen den steilen Weg
hinunter. Das Auto hat er voll Lebensmittel, Schaufeln und
Schubkarren geladen, "alles, was jetzt dringend gebraucht
wird". Erlebt hat die Flut sein Mitarbeiter Christian
Gammel: "Die Sirenen haben geheult und schon kam es
angeschossen. Damit hat keiner gerechnet." Gewarnt wurden
sie nicht. Die Uhrenwerker konnten, in der Ahnung eines Unglücks,
gerade noch die wichtigsten Papiere aus dem Keller nach obern räumen.
Jetzt machen sie sich daran, den Schlamm zu beseitigen.
Völlig überrascht von den Wassermassen war
auch Konrad Plath. Er hatte gerade den Weg vor dem Haus vom
Dreck des leichten Hochwassers der Müglitz am Vortag gereinigt,
als der Damm brach. "Ich stand wie angewurzelt im
Wohnzimmer und habe aufs Fenster gestarrt." Auf halber Höhe
des Erdgeschoss-Fensters schoss das Wasser vorbei. "Ich
dachte zuerst, ich sehe ein Schiff vorbeifahren. Es war aber ein
Auto." Er lacht wie über einen Scherz, deutet aber auf den
Fenstersims. Dort sind die Schrammspuren des Wagens deutlich zu
sehen. "Zum Glück hat das Fenster gehalten." Durch
das Schlüsselloch der Tür fand das Wasser allerdings doch den
Weg in seine Wohnung.
Schäden kann man ersetzen, Menschenleben
nicht
Seine Nachbarin, Petra Meinhold, sieht die
Schäden nicht so dramatisch: "Immerhin, wir leben noch.
Das ist jetzt unser Motto." Materielle Schäden könne man
ersetzen, Menschenleben nicht. "Andere, wie in Grimma, die
nur retten konnten, was sie auf dem Leib haben, sind viel
beschissener dran als wir hier", fügt sie hinzu.
"Offiziell werden zwei Menschen vermisst", sagt der
Chef des Krisenstabes, Veith Honzsch, Wehrleiter der
Freiwilligen Feuerwehr Glashütte. "Die Stadt hat es ganz
schön erwischt", so sein Fazit. Eine Schadenshöhe lasse
sich noch nicht beziffern. Jetzt gehe es vor allem darum, die
Versorgung zu sichern. "Bis gestern haben Soldaten
Lebensmittel hierher getragen." Die Uniformierten wurden in
den Ortsteil Bärenhecke beordert, um die Brotfabrik wieder in
Gang zu bringen. Andere reparieren eine der Zufahrtsstraßen.
Das Technische Hilfswerk baut an einer
Trinkwasser-Notversorgung. Strom gibt es nur im oberen Teil der
Stadt.
Im Halbdunkel seines Tapeten- und Farbenladens
hockt Reiner Ebert im Schlamm und zieht verschmierte
Tapetenrollen aus dem Regal. Seine Frau trägt sie raus und
schmeißt sie auf einen Haufen. Gleich daneben stapeln sich
durchweichte Möbel und Teppiche. "Alles ist hin",
sagt Ebert resigniert. Aber das Leben gehe weiter.
"Komisch, wie schnell sich der Mensch von so was
Unvorstellbarem erholt." Mit einem Lappen wischt er den
Dreck von Farbeimern. Auf der Straße schlendern Menschen
vorbei, ihre Videokameras auf die Möbel- und Tapetenhaufen
gerichtet. "Jeder, der zwei gesunde Hände hat, sollte
kommen und helfen", presst er mit wütender Stimme hervor.
Ein paar Kinder spritzen sich gegenseitig mit
Wasser aus einer riesigen Pfütze voll. Daniel Wollneck (9) und
Anne Pilz (10) schauen ihnen, auf Schaufelstiele gestützt, zu.
Die beiden wollen mit helfen, die Verwüstung zu beseitigen. Am
Tag des Dammbruchs "wurden wir eher aus der Schule nach
Hause geschickt, weil wir völlig nass waren", erzählt
Anne. Plötzlich habe es gekracht und kurz darauf seien
Container und Autos vorbeigespült worden. Anne: "Ich bin
nur noch schnell weggerannt." Jetzt hätten sie keine Angst
mehr. Daniel vermisst aber seinen Vater, der Montag nicht von
der Arbeit in Dresden zurück kommen konnte. "Vorhin hat er
mich angerufen. Er war im Wall-Mart in Heidenau einquartiert.
Jetzt läuft er an den Schienen lang zu uns zurück." Das
Leben kehrt ganz langsam nach Glashütte zurück.
von Jens Pabst
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