Von der Brücke am Ortsausgang Niederschlottwitz blieb nur der Steinbogen erhalten, während der Rest komplett
weggespült wurde:
Die Sächsische Zeitung schrieb am 13.09.2002
über die Opfer dieser Flut:
Wenn, hätte, wäre …
20 Menschen starben bei der Flutkatastrophe in Sachsen: War ihr
Tod vermeidbar?
Mittwoch, der 25. August. Wie an den Tagen zuvor
sind Soldaten der Bundeswehr, Männer vom Technischen Hilfswerk
und von der Berliner Bereitschaftspolizei in Dohna damit beschäftigt,
die Müglitz von Holz und Geröll zu befreien. Plötzlich machen
sie einen grausigen Fund: Unter einem Baumstamm liegt die Leiche
einer Frau. Der Körper ist bereits stark verwest, eine
Identifizierung vor Ort unmöglich. Erst ein Blick auf die Liste
der vermissten Personen und die Bestätigung durch den Ehemann
bringt Klarheit: Bei der Toten handelt es sich um Annemarie W.
aus Weesenstein. Seit dem 12. August ist die 48-Jährige
vermisst worden – und gehört damit zu den ersten Menschen,
die bei der Flutkatastrophe in Sachsen ihr Leben verloren haben.
Nur weil sie so spät gefunden wird, taucht sie in der
offiziellen Statistik als 20. und vorerst letztes Opfer auf.
Als die Brücke einstürzte, wurde Frau M.
mitgerissen
20 Menschenleben sind – neben den
Milliardenschäden an Häusern, Straßen und Brücken – der
Preis für die größte Naturkatastrophe seit Menschengedenken
in Sachsen. Allein 14 Männer und Frauen starben an den ersten
beiden Tagen, als sich Bäche in reißende Ströme verwandelten
und Keller in Minutenschnelle vom Wasser überflutet wurden. So
wie die 38-jährige Anette M., die von ihrem Mann wegen des
Hochwassers nach Hause gerufen wurde. Als sie Schlottwitz
erreichte, musste sie das Auto stehen lassen. Zu Fuß versuchte
sie die letzten Meter zu ihrem Haus zurückzulegen. Vergeblich:
Vermutlich in dem Moment, als die Brücke im Unterdorf einstürzte,
wurde sie von den Fluten der Müglitz mitgerissen. Ein Mann
wollte sie noch halten, wurde aber gegen einen Baumstamm
geschleudert. Erst am 20. August fanden Spürhunde ihre Leiche
in Mühlbach.
20 Menschenleben sind allerdings verhältnismäßig
wenig im Vergleich zu dem Müglitz-Hochwasser im Jahre 1927, das
144 Todesopfer forderte. Wie damals stellt sich den
Hinterbliebenen aber auch heute die Frage: Waren die Unglücke
vermeidbar? Wenn der Dresdner Holger D. nicht versucht hätte
die Pumpe im Keller anzustellen, wäre er heute wahrscheinlich
noch am Leben. Hätte die Freitalerin Hedwig K. ihre Wohnung
rechtzeitig verlassen, wäre die Evakuierung per Hubschrauber
nicht nötig gewesen – und ihr Absturz vermeidbar. Wenn, hätte,
wäre … – Worte, die immer wieder durch den Kopf kreisen.
Trost spenden sie den Angehörigen und Freunden nicht.
Mehrere Menschen starben, weil sie Hab und Gut
in Sicherheit bringen wollten. Wie Wolfgang B., der in Wilsdruff
in einem Bach namens Wilde Sau ertrank. Wie Peter M., der die
neuen Gartenmöbel nicht der Flut überlassen wollte. Wie
Manfred Z., der das Abtreiben von Holzstämmen verhindern
wollte.
Drei Männer und eine Frau werden noch
vermisst
Hatten die Männer ihre eigenen Kräfte überschätzt?
Oder waren die Naturgewalten einfach stärker? Wenn im
Nachhinein überhaupt das Wort Leichtsinn seine Berechtigung
hat, dann wohl im Falle des 44-jährigen Lutz D. aus Glauchau.
Mit drei Freunden brach er zu einer Paddeltour auf der
Hochwasser führenden Mulde auf. Das Boot kenterte, für Lutz D.
kam jede Rettung zu spät. Für sich genommen ist jeder
Todesfall tragisch. Traurige Berühmtheit erlangte indes der
Name von Frank Köckritz. Der 35-jährige Feuerwehrmann half in
Pirna-Zuschendorf bei der Evakuierung der Einwohner. Als er die
Hausfrau Irena G. an einem Seil durch die Fluten führte, schoss
plötzlich ein fortgeschwemmtes Auto auf ihn zu und drückte den
Helfer unter Wasser. Frank Köckritz ertrank, die Frau wurde
gerettet.
Auch einen Monat nach Beginn der Flutkatastrophe
will und kann das Sächsische Innenministerium nicht ausschließen,
dass die Zahl der Todesopfer weiter ansteigt. Die Polizei
fahndet noch nach drei Männern und einer Frau, die in den Tagen
des Hochwassers als vermisst gemeldet wurden. Erst wenn sie
gefunden sind, kann die Polizei das Thema zu den Akten legen.
Steffen Klameth
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